10.06.2014

Auf dem Weg zum Vorzeigeprojekt mit Strahlkraft

Innovatives Energiekonzept: Das Kreativ.Quartier Lohberg soll CO2-neutral werden und sogar mehr Energie produzieren als verbrauchen. Im Interview gibt Architekt Prof. Manfred Hegger Einblicke in das „autonome“ KQL der Zukunft.

Unabhängig von externer Versorgung werden, indem erneuerbare Energien optimal genutzt werden: Damit soll das Kreativ.Quartier Lohberg (KQL) zu einem herausragenden Vorbild für die zukünftige Energieversorgung im urbanen Raum werden. Bei der Revitalisierung des ehemaligen Zechengeländes gilt das ehrgeizige Ziel, auf die zentralen Herausforderungen Klimawandel und schwindende Ressourcen mit neuen Lösungen zu antworten.

 

Das Kasseler Architekturbüro Hegger Hegger Schleiff (HHS) verfügt über große Expertise bei der Entwicklung und Ausführung entsprechender Projekte und hat die Machbarkeit für den Standort Lohberg untersucht. Nun geht es an die konkrete Planung für den Zeitraum bis 2025. Prof. Manfred Hegger, Mitinhaber von HHS, erläutert den aktuellen Stand und erzählt, warum er gerne im Ruhrgebiet arbeitet.

 

Herr Professor Hegger, Ihr Unternehmen sitzt in Kassel. Aufgrund welcher Expertise und Referenzen wurde HHS für das Kreativ.Quartier Lohberg beauftragt?

 

Wir arbeiten seit vielen Jahren in den Bereichen des energieeffizienten Bauens und des Einsatzes erneuerbarer Energien. Im Bereich der Quartiersentwicklung waren wir unter anderem beteiligt an einem großen Projekt der Internationalen Bauausstellung (IBA) in Hamburg - das „erneuerbare Wilhelmsburg“, wir haben weitere Projekte in Marburg und Oberursel bearbeitet. Demnächst soll ein Plus-Energie-Quartier in Frankfurt am Main an den Start gehen. Als größere Baumaßnahme ist Mont Cenis in Herne im Ruhrgebiet bekannt, vielleicht auch der kürzlich fertiggestellte Energiebunker in Hamburg.

Die Stadt Dinslaken hat erkannt, dass ein zukunftsträchtiges Energiekonzept für das KQL nicht ausreicht, sondern auch die Ästhetik überzeugen muss. An dieser Schnittstelle sind wir intensiv tätig, auch in Lehre und Forschung.

 

Was reizt Sie daran, ein weiteres Projekt im Ruhrgebiet zu realisieren?

 

Ich freue mich sehr, dass wir von der Projektgemeinschaft beauftragt wurden. Das Ruhrgebiet liegt mir am Herzen, weil der Wandel in den ehemaligen Industriestandorten von alten Energieformen zu neuen besonders spannend ist. Außerdem gefällt mir der Menschenschlag hier mit seiner Offenheit und Neugierde.

 

Das KQL soll ein beispielhaftes Forschungs- und Vorzeigeprojekt werden: Gibt es in Deutschland bereits ähnliche Projekte oder betreten Sie damit Neuland?

 

Es gibt seit längerer Zeit ähnlich gelagerte Projekte im ländlichen Raum, die „100 Prozent-Regionen“. In verdichteten Strukturen, also städtischen Regionen, fängt es erst allmählich an. Hier kann Dinslaken Zeichen setzen. Beim KQL kommt als Besonderheit dazu, dass vorhandene Bestände – die denkmalgeschützten Bauten und die Gartenstadt – mit Neubauten zu kombinieren sind. Außerdem ist die Mischung aus Gewerbe- und Wohngebiet mit öffentlichen Nutzungen spannend. Insofern ist das durchaus Neuland!

 

Was genau zeichnet das Projekt als vorbildhaft aus? Muss so das Bauen der Zukunft angesichts von Klimawandel und Ressourcenverknappung aussehen?

 

Das Besondere beim KQL ist, dass bei der Energieversorgung ganz verschiedene Elemente zusammen kommen. Es wird semizentrale und dezentrale Lösungen geben. Semizentral meint, dass größere Einheiten wie zum Beispiel eine große gebäudeintegrierte Solaranlage oder ein Windrad Energie im Quartier für das Quartier liefern. Dezentral bedeutet, dass jeder Bewohner im zukünftigen Wohnquartier seinen eigenen Beitrag leisten kann. Sein Handeln ist unverzichtbar für das Gesamtkonstrukt. Das kann mit Fotovoltaik funktionieren, mit Batteriespeichern oder auch anderen Technologien -ein wesentlicher Schritt, für den es ausgereifte und bezahlbare Technologien gibt. Für die Bewohner ist das attraktiv, weil sie damit zukunftssicher aufgestellt sind und auch langfristig deutliche Einsparungen erzielen können.

 

Ist der vielfache Energiemix exakt auf den Standort Lohberg zugeschnitten oder übertragbar auf andere Standorte?

 

Diese Mischung ist keine Standardlösung, sondern speziell für die Ressourcen des Standorts konzipiert. Unser Konzept sieht derzeit Folgendes vor: Strom wird erzeugt zu circa 30 Prozent aus Sonnenenergie, 25 Prozent aus Windenergie,. 45 Prozent aus Grubengas. Die Wärmeversorgung leistet ein Grubengas-Blockheizkraftwerk, später vielleicht ersetzt durch die Nutzung von Grubenwasserwärme. Jedenfalls verbraucht das neue Wohnquartier weniger Energie als dort erzeugt wird, deshalb könnte die Gartenstadt Lohberg aus dem Überangebot mitversorgt werden. Sinnvoll wäre dies im Zusammenhang mit einer Sanierung.

 

Ist denn eine Sanierung der Gartenstadt Bestandteil Ihres Auftrags?

 

Nein, wir haben lediglich angeregt, diese zu betrachten, aber darauf haben wir keinen direkten Einfluss. Eine Sanierung müsste selbstverständlich von den Bewohnern und Eigentümern ausgehen. Sie können auf diese wunderschönen Häuser des Denkmalbereichs nicht einfach Dämmplatten aufbringen, der eigene Charakter der Siedlung muss erhalten bleiben.

 

Welche Dimensionen wird das Energie-Projekt im KQL haben? Wie groß soll zum Beispiel die geplante Windkraftanlage auf der Halde werden, wie groß die Fotovoltaikfläche auf dem Dach der ehemaligen Kohlenwäsche?

 

Die Vorbereitung der Umsetzung ist der nächste Schritt. Wir haben untersucht, was zur unabhängigen Energieversorgung notwendig sein wird und festgestellt, dass ein reiches und vielfältiges Energieangebot vorliegt. Welche Maßnahme in welchem Umfang realisiert wird, hängt von den weiteren Planungen ab. Positiv ist: wir haben viele Möglichkeiten. Wenn etwa das Solarkraftwerk kurzfristig nicht realisierbar sein sollte, können wir diese Form der Energiegewinnung durch eine andere ersetzen. Fest steht, dass das Ziel der CO2-Neutraltität auf Lohberg gut zu erreichen ist.

 

Wer profitiert in welcher Weise von dem Projekt: die Stadt, dort ansässige Betriebe, die zukünftigen Bewohner und Gewerbetreibenden?

 

Alle werden profitieren. Das Projekt ist mit einem Stück Idealismus gestartet, nun stellt sich heraus: alle werden gewinnen. Zwar werden zunächst die Investitionen überwiegen, dann aber die Gewinne. Die Bewohner werden in Häusern leben, die in puncto Energieeffizienz auf dem neuesten Stand sind und so erheblich Kosten sparen; ihre Energieversorgung ist vor Ort und damit sicher. Auch die Stadt erhöht die Sicherheit ihrer Energieversorgung und kann das Renommee für ein vorbildliches Projekt für sich verbuchen. Auch die Stadtwerke sind sehr interessiert und positiv eingestellt. Alle Beteiligten sind in die Planung einbezogen.

 

Wie viele Menschen werden im Kreativ.Quartier Lohberg leben und arbeiten?

 

Das neue Wohnquartier umfasst 20.000 Quadratmeter mit circa 200 Wohneinheiten, bietet also Raum für etwa 600 Bewohner. Die Gartenstadt hat 340.000 Quadratmeter, dort leben etwa 4000 Menschen. Dazu kommen 500 bis 1000 Arbeitsplätze. Wir sollten in jedem Fall die Gartenstadt und das KQL als einen zusammen gehörenden Stadtteil betrachten.

 

Was können Sie bereits zum Stichwort sagen „Exzellenz, die über die Bundesziele hinaus geht“, die bei der Präsentation des Projektes in Aussicht gestellt wurde? Welche „Strahlkraft“ – auch ein Zitat aus der Präsentation - wird das vollendete Projekt haben?

 

Die Klimaziele der Bundesregierung, an denen sich die Stadt Dinslaken orientiert, sehen für das Jahr 2050 ehrgeizige Ziele für die Verringerung des CO2-Ausstoßes, des Energieverbrauchs und für die Schaffung eines möglichst klimaneutralen Gebäudebestands vor. Das heißt, alle Gebäude sollen einen niedrigen Energiebedarf haben, der weitestgehend durch erneuerbare Energien gedeckt wird.
Im KQL können wir nach derzeitigem Planungsstand dieses Ziel bereits 2025 übererfüllen, also deutlich frühzeitiger: Das ist Exzellenz. Und daraus ergibt sich auch Strahlkraft. Dafür reicht es allerdings nicht, dass die Zahlen und Fakten stimmen, sondern das Ergebnis muss deutlich sichtbar sein. Es geht darum, einen attraktiven öffentlichen Raum zu schaffen mit „Leuchttürmen“, mit denen das Projekt in der Stadt und im Land deutlich identifiziert wird.
Das KQL wird nicht nur autonom in der Energieversorgung sein, sondern es kann darüber hinaus Energie exportieren, so wie es die Zeche früher getan hat. Wir denken sogar so weit, ob ganz Dinslaken zu einer 100-Prozent-Stadt werden kann. Unsere städtischen Ansprechpartner sind neugierig darauf.

 

Herr Professor Hegger, wie lässt sich das ehrgeizige Vorhaben konkret an? Mit wie vielen Mitarbeitenden ist HHS beteiligt und wie läuft die Zusammenarbeit mit der RAG MI und der Stadt?

 

Die Zusammenarbeit ist hervorragend. Wir von HHS arbeiten zu dritt mit den Verantwortlichen der Projektgemeinschaft, der Stadtwerke und von NRW Urban* zusammen. Es gibt viele kritische Fragen, aber das gehört bei so einem neuartigen und umfassenden Projekt dazu und die konstruktive Auseinandersetzung schärft die Qualität des Projektes. Ich bin mit dem Ablauf außerordentlich zufrieden.


* NRW.URBAN, für die Projektgemeinschaft als externes Projektmanagement tätig, ist 2009 als Nachfolgerin der LEG Stadtentwicklung als 100-prozentige Beteiligungsgesellschaft des Landes NRW an den Start gegangen. NRW.URBAN steht dem Land, Kreisen sowie Städten und Gemeinden als Partner bei der Umsetzung des Stadtumbaus, bei der ökologischen Stadterneuerung oder bei der Revitalisierung von Gewerbe- und Industriebrachen zur Seite. Außerdem verwaltet NRW.URBAN treuhänderisch den Grundstücksfonds NRW. Standorte sind Dortmund, Düsseldorf, Aachen und Bonn.

 

Interview: Gudrun Heyder